Web 2.0 und die Soziale Arbeit

Das www verändert sich derzeit zum „Mitmachweb“, das die Grenzen zwischen Produzent/innen und Konsument/innen verschwinden lässt und konsequent auf Partizipation setzt. Diese veränderte Nutzungsart des Internet wird als Web 2.0 bezeichnet. Der neue Umgang mit dem Internet basiert auf der Kombination von bereits Ende des 20. Jahrhunderts entwickelten Techniken, die durch die Vielzahl neuer und schnellerer Internetzugänge (z.B. DSL) erst jetzt einer breiten Masse zugänglich sind.

Eine Entwicklungsstufe dieser Ära markieren Auskunft- und Informationssysteme, wie sie in den vorangegangen Kapiteln beschrieben wurden. Darüber hinaus werden nun aber Inhalte nicht nur zentral von einigen wenigen großen Betreibern erstellt und einem breiten Publikum präsentiert. Vielmehr beteiligen sich nun auch einzelne, unabhängige Menschen daran, Inhalte über das Internet zu verbreiten und sich miteinander zu vernetzen. Wer will, kann dank WLAN und UMTS jederzeit und überall über Daten und die Inhalte im www verfügen und die Inhalte auch selbst mit weiter entwickeln.

Web 2.0-Technologie

Anwendungen, die bei dieser Nutzungsart des Internets im Vordergrund stehen und mit denen auch eine ursprüngliche Idee des www realisiert wurde, werden häufig unter dem Begriff "Soziale Software" bzw. "social software" zusammengefasst. (Anmerkung: Dieser Begriff ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der Software Anwendungen für die Soziale Arbeit im Modul 5). Er bezeichnet Software Systeme, „die der menschlichen Kommunikation, Interaktion-“ und Kooperation dienen. Typisch hierfür sind beispielsweise die sogenannten Wikis (hawaiianisch = schnell), die in gewisser Weise Content-Management-Systemen ähneln, aber sehr viel mehr als diese sind. Am besten lässt sich dieses Mehr an der Online-Enzyklopädie Wikipedia, dem wohl bekanntesten Beispiel eines Wikis verdeutlichen. Alle Internet-User können sich an der Weiterentwicklung von Wikipedia beteiligen, jede/r kann einen Eintrag modifizieren, ergänzen oder neu erstellen. Das Ergebnis ist „das beste, weil lebendige, Lexikon der Welt“ (Richard Joerges, Autor und Urheber der Seiten web-zweinull.de). Bei einem Wiki vernetzt sich darüber hinaus technisch gesehen der Inhalt selbst. Wird ein zuvor beschriebenes Stichwort verwendet, so wird dieses automatisch verlinkt.

Web 2.0 – etwas genauer betrachtet

Web 2.0 ist derzeit in aller Munde und diese (scheinbare) Entwicklung im Internet hin zu mehr Partizipation wird auch auf zahlreiche andere Gebiete übertragen: Bildungsexperten und Personalentwickler/innen einen sprechen plötzlich von E-Learning 2.0, Krankenkassen diskutieren die Auswirkungen des Web 2.0 auf den Gesundheitsbereich unter „health 2.0“, im politischen Kontext sprechen manche von „Bürgerbeteiligung 2.0“. Was genau ist mit dieser aktuellen Modebezeichnung gemeint? Schauen wir zunächst wie Wikipedia selbst den Begriff Web 2.0 definiert:

„Der Begriff ‚Web 2.0‘ bezieht sich weniger auf spezifische Technologien oder Innovationen, sondern primär auf eine veränderte Nutzung und Wahrnehmung des Internets. Hauptaspekt: Benutzer erstellen und bearbeiten Inhalte in quantitativ und qualitativ entscheidendem Maße selbst. Maßgebliche Inhalte werden nicht mehr nur zentralisiert von großen Medienunternehmen erstellt und über das Internet verbreitet, sondern auch von einer Vielzahl von Individuen, die sich mit Hilfe sozialer Software zusätzlich untereinander vernetzen[…]. Typische Beispiele hierfür sind Wikis, Blogs, Foto- und Videoportale (z.B. Flickr und YouTube), soziale Online-Netzwerke wie MySpace, facebook und studiVZ sowie Social-Bookmarking-Portale wie del.icio.us, aber auch die schon länger bekannten Tauschbörsen.“ (deutschsprachiger Wikipedia-Eintrag „Web 2.0“, Zugriff 30.08.08)

Kennzeichnend für Web 2.0 ist also die konsequente Wahrnehmung und Nutzung des Internets als Kommunikationsmedium. Gab es lange im World Wide Web eine strikte Trennung zwischen Schreibenden und Lesenden, hebt das Web 2.0 diese Trennung auf. NutzerInnen gestalten selbst Inhalte; MedienkonsumentInnen werden somit zu MedienproduzentInnen (Stichworte „Mitmachweb“, Read and Write-Web statt Read-only Web).

Neuberger (2007, 574) fasst die neuen Qualitäten und die Unterschiede zwischen Web 1.0 und Web 2.0 wie folgt zusammen:


Web 1.0

Web 2.0

Prinzipien

  • Zentralität
  • fixe Rollenverteilung und Hierarchie zwischen Leistungserbringern und -empfängern
  • Abgrenzung gegenüber der Umwelt
  • Dezentralität
  • Rollenwechsel und Partizipation und Gleichheit bei der Leistungserstellung
  • Vernetzung

Neben euphorischen Einschätzungen dieser Veränderungen gibt es auch zahlreiche kritische Stimmen zum Web 2.0: „Wie das neue Netz aber aussieht, was Web 2.0 sein soll außer einer Projektionsfläche für die Heils- und Totalitarismusphantasien einiger Egobooster, kann einem keiner sagen“ ( Rühle 2006 zitiert nach Neuberger 2007, 576)

Web Two Point Ohhhh

Wie sich die Nutzungsformen des Web 2.0 weiter entwickeln werden, bleibt in der Tat abzuwarten. Ein großer Teil der aktuellen Aufmerksamkeit ist wie bei jedem technologischen Entwicklungsschritt sicher übertrieben– nichts desto trotz hat das Web 2.0 auch viel Potenzial, dessen Entfaltung es noch weiter zu erkunden gilt.

Web 2.0 Werkzeuge

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Wie viele Web 2.0 Werkzeuge gibt es? Diese Frage kann nicht beantwortet werden; es gibt in jeder Kategorie eine große Anzahl verschiedener Werkzeuge, die sich zudem ständig weiter entwickeln.

Grob lassen sich die Web 2.0 Technologien in die folgenden Gruppen einteilen:

Gruppe

Kursbeschreibung

Wikis

kooperative Schreibwerkzeuge im Internet, mit denen eine beliebig große Anzahl von Nutzern gemeinsam eine leicht zu editierende Webseite bzw. Dokumentensammlung anlegen kann
Beispiel Wikispaces

Weblogs

Publikationswerkzeuge, die chronologisch geordnete Veröffentlichungen wie Tagebücher oder Projektberichte ermöglichen
Beispiel Word Press

Podcasts

Mediendateien (Audio oder Video), die über das Internet produziert und angeboten werden (Kunstwort, das sich aus iPOD und BroadCAST zusammensetzt).
Das Vorgehen des „Podcasting“ wird zum Teil auch als „Audiobloggen“ bezeichnet. Podcasts ermöglichen Internetnutzern oder Gruppen von Nutzern quasi einen eigenen Hörfunk- oder Fernsehsender im Internet zu betreiben

Beispiel: Audacity (Software zum Produzieren), Podcampus.de Podcasts von/für Hochschulen ;

Soziale Netzwerke

Dienste, mit deren Hilfe Online-Communities gegründet werden können, in denen in vielfältiger Form kommuniziert und Dateien ausgetauscht werden können
Beispiel Xing, StudiVZ, Lokalisten

Social Bookmarking

Plattformen, auf denen favorisierte Webseiten als Bookmarks online abgelegt, mit eigenen Schlagworten versehen (Tagging) und mit anderen ausgetauscht werden können
Beispiel del.icio.us ; www.mister-wong.de

Desktop im Netz

Dienste, die herkömmliche Standardanwendungen auf dem PC wie Textverarbeitung oder Kalenderverwaltung im WWW frei anbieten und es ermöglichen, die jeweilige Anwendung und einzelne Dokumente mit anderen zu teilen
Beispiel Google Documents

Was haben all diese unterschiedlichen Werkzeuge gemeinsam, was macht sie zu Web 2.0 Werkzeugen? Typische Charakteristika sind:

  • Freie Benutzung ohne Lizenzgebühren
  • Hochspezialisierte Dienste mit schmalem Funktionsumfang, die dann mit anderen Werkzeugen kombiniert werden sollen („small pieces loosely joined“)
  • Leichte Handhabbarkeit (keine Programmierkenntnisse nötig)
  • Kontinuierliche Weiterentwicklung („perpetual beta“)
  • Dynamisch, d.h. Veränderung über die Zeit ist inhärentes Merkmal
  • Hierarchiefreies Rollenmodell auf der Grundlage von Vertrauen („radical trust“)
  • Elemente können mit eigenen Etikettierungen („tags“) versehen werden – es entsteht eine „Verschlagwortung von unten“ – „folksonomy“ genannt)
  • Leichtes System der automatischen Aktualisierung in Form von Abonnementdiensten, auch RSS -Feeds genannt (RSS steht für Really Simple Syndication - eine einfache Weiterverarbeitung)

Was hat das alles mit der Sozialen Arbeit zu tun?

Derzeit gibt es noch nicht viele soziale Einrichtungen, die sich der neuen Technik im WWW bedienen. Am deutlichsten zeigen sich die Einflüsse schon bei einigen Anbietern der Online-Beratung (s. Modul 4) sowie in Städte und Gemeindeportalen, bei dem Versuche mehr Bürgerbeteiligung durch digitale Medien zu erzeugen und in der Erwachsenenbildung/ Personalentwicklung, speziell im E-Learning. Fachleute vermuten aber, dass sie sehr schnell an Bedeutung gewinnen wird.

Durch die Web2.0 Werkzeuge entstehen z.B. für alle sozialen Einrichtungen neue Wege und Formen der Öffentlichkeitsarbeit und des Wissensmanagements, z.B. durch das leichte Anlegen eines Weblogs oder Wikis, das alle ohne Programmierkenntnisse auch bedienen können.

Da Podcasts am PC mit Soundkarte und Mikrophon leicht erstellt werden und auf speziellen Podcast-Serverseiten anderen Nutzern zur Verfügung gestellt werden können, findet Podcasting vermehrt Anwendung im Bereich der Medienpädagogik mit Kindern und Jugendlichen. Der Ablauf beim Podcasting gestaltet sich folgendermaßen:

Podcast-Schema.png Schematische Darstellung eines Audio- Podcast (Quelle: Wikipedia/Podcasts)

In der Erwachsenenbildung bzw. der Personalentwicklung spricht man in Anlehnung an Web 2.0 hat bereits von „E-Learning 2.0“. Downes (2007) unterscheidet zwei verschiedene Generationen von E-Learning, die er als E-Learning 1.0 und 2.0 voneinander abgrenzt:

  • Im E-Learning 1.0 ist die Grundeinheit ein Kurs, den ein E-Learning Anbieter in einem geschlossenen Learning Management System (LMS), einer Software zur Verwaltung von Kursen im Internet, bereit stellt.
  • E-Learning 2.0 ist demgegenüber als Netzwerk zu charakterisieren, in dem Lernende Lernmaterialien als zahlreiche „Kleinstinhalte“ („Mikrocontents“) mit einer Vielzahl von spezialisierten Werkzeugen wie Weblogs oder Wikis selbst verwalten und diese untereinander vernetzen
10-web20_clip_image008.jpgHinweis: Zum Thema E-Learning 1.0 und 2.0 gibt es einen hörenswerten Podcast von Michael Kerres, E-Learning Experte und Professor an der Universität Duisburg-Essen unter http://mediendidaktik.uni-duisburg-essen.de/node/2159 (Zugriff 01.08.08)