Theorien der sozialen Gerechtigkeit

Die Idee der Verteilungsgerechtigkeit stellt bereits in den Schriften von Aristoteles ein Gerechtigkeitselement in dessen Unterteilung der Gerechtigkeit dar und wurde unter anderem von Thomas von Aquin in der christliche Tradition weitergeführt. In dieser Tradition kann Verteilungsgerechtigkeit als „die gerechte Verteilung von Vergünstigungen unter den Mitgliedern der verschiedenartigen Vereinigungen“ so. Miller (2008, 43) aufgefasst werden. Er sieht deshalb die heutige Idee der sozialen Gerechtigkeit als eine erweiterte Version des von diesen älteren Philosophen entwickelten Begriffs der Verteilungsgerechtigkeit.

Hauptsächlich liberale Sozialphilosophen haben dem Begriff soziale Gerechtigkeit zur Bedeutung verholfen. Sie schrieben in einer Zeit, in der wirtschaftliche und soziale Auseinandersetzungen massive Formen annahmen und öffentliche Institutionen unter erheblichen ethischen und politischen Druck standen. So wurde von britischen Autoren wie John Stuart Mill, Leslie Stephen und Henry Sidgwick auf soziale Gerechtigkeit verwiesen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff soziale Gerechtigkeit bedeutender, z.B. entstand 1900 das Buch „Social Justice“ von Westel Willoughby in New York. Miller (2008) hebt hervor, dass hier die Gesellschaft als integriertes Ganzes gesehen wird: „Soziale Gerechtigkeit setzt die Idee einer Gesellschaft voraus, die aus wechselseitig voneinander abhängigen Teilen besteht, die eine das Geschick jedes einzelnen Mitglieds beeinflussende institutionelle Struktur hat und in der eine Instanz wie der Staat zu planvollen Reformen im Namen der Fairness imstande ist.“ (ebd. 45 f.).

So auch die Sicht von M. Bäumer, Leiterin des Jugendamtes Prenzlauer Berg, die es 1929 als Aufgabe der Sozialpädagogen ansieht, „..., dem Schicksal gerecht zu werden im Rahmen schematischer Organisation und Massenregelungen. Er steht ständig vor dem Zusammenstoß von Gesetz und Leben und bedarf deshalb ebenso sehr des Verständnisses für die Größe und den Wert der ‚Gerechtigkeit’ im Sinne Platons, des systematischen Rechts auf der einen Seite und für die unwägbaren Besonderheiten des Lebens.“ (zitiert nach Müller 1990, 66; Bäumer 1929b, 221).

Nancy Fraser: Umverteilung und Anerkennung

Nancy Fraser (2003) orientiert ihren Ansatz zur sozialen Gerechtigkeit am normati-ven Prinzip der „partizipatorischen Parität“. Nach dieser Norm erfordert die Gerech-tigkeit gesellschaftliche Vorkehrungen, dass es allen Gesellschaftsmitgliedern möglich ist, miteinander als Ebenbürtige zu verkehren. Die ‚objektive Bedingung’ er-fordert, dass „die Verteilung materieller Ressourcen die Unabhängigkeit und das „Stimmrecht“ der Partizipierenden gewährleisten“ (Fraser/Honneth, 55). Die ‚intersub-jektive Bedingung’ verlangt, „…dass institutionalisierte kulturelle Wertmuster allen Partizipierenden den gleichen Respekt erweisen und Chancengleichheit beim Erwerb gesellschaftlicher Achtung gewährleisten“ (s.o.). Individuen und Gruppen, denen der Status eines vollwertigen Partners in sozialen Interaktionen vorenthalten wird, ge-schieht Unrecht.
Die Verwirklichung von Gerechtigkeit verlangt nach Fraser zwei Ausrichtungen: „Um-verteilung“ und „Anerkennung“ Es handelt sich dabei um normative philosophische Kategorien, die aufeinander bezogen sind aber doch unterschieden werden können. Die legitimen Ansprüche nach Gleichheit sind mit den legitimen Forderungen nach Anerkennung von Unterschieden in Einklang zu bringen (ebd., 17).
Fraser besteht darauf, dass reale und bedeutsame Prozesse der Umverteilung von Ressourcen und gesellschaftlicher Wertschöpfung vollzogen werden müssen, die nicht nur auf die offizielle Wirtschaft beschränkt werden dürfen. In einem bestimmten Ausmaß muss man von Ungleichheit ausgehen und sie akzeptieren, aber es gibt Schwellenwerte, die eine partizipatorische Parität verhindern. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen: Die Anerkennung der legitimen Ansprüche von Gruppen auf Un-terschiedlichkeit (z.B. Schwule oder Lesben) beinhaltet noch keine materielle Gleich-stellung. Ebenso beinhaltet die Gleichbezahlung/-behandlung noch keine Anerkennung des Rechts auf Unterschiedlichkeit und kulturelle Selbstverwirklichung. Die Wahrnehmung sozialen Unrechts ist an die öffentlichen Diskurse gebunden („Die im Schatten sieht man nicht“ – Brecht) und diese Kommunikation beeinflusst wesent-lich das Spektrum akzeptierter Lösungen. Frasers Ansatz wird von ihr mit einer Per-spektive der politischen Umsetzung versehen, die die Vorteile der Umverteilungspolitik mit denen der Anerkennungspolitik zusammenführen soll. Sie versieht die Hinweise mit den Überlegungen, dass Gerechtigkeit eine politische Di-mension und ein Problem der passenden Rahmung hat. Vorsicht sei bei der Instituti-onalisierung von Prozessen geboten, die Gerechtigkeit fördern sollen, um die passenden Arenen der Beteiligungen abzugrenzen.
Frasers Theorie bietet für die Soziale Arbeit u.a. folgende Hinweise:
• Die Möglichkeiten einer Moralbegründung unter den Bedingungen des moder-nen Wertepluralismus
• Die Bedeutung der ökonomischen Umverteilung von Ressourcen, weil sie zum einen die Basis für Anerkennungsprozesse schafft und zum anderen deren praktische Bestätigung darstellt
• Die Notwendigkeit der kulturellen Anerkennung von Ungleichheit und Unge-rechtigkeit als Voraussetzungen für die Lösung von sozialen Konflikten und die Möglichkeit der Umverteilung
• Das Grundmodell von Umverteilung und Anerkennung korrespondiert mit dem traditionellen Leistungsangebot der Sozialen Arbeit „Geld und gute Worte“.

John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit

Die seit den 80iger Jahren des letzten Jahrhunderts einflussreichste Theorie der so-zialen Gerechtigkeit ist von John Rawls. Er entwirft Prinzipien und Merkmale für die Grundlagen eines gerechten Gesellschaftsvertrages. Rawls geht von einer Gesell-schaft aus, deren Mitglieder höchst unterschiedliche Interessen, Erfahrungen und re-ligiöse Überzeugungen haben und fragt sich, wie vor diesem Hintergrund gesellschaftliche Integration gelingen kann.
Seiner Überzeugung nach ist ein gesellschaftliches Vertragsmodell dann mit einer dauerhaften Perspektive verbunden, wenn es sich an „Fairness“ orientiert und die sozialen Institutionen sich an der Gerechtigkeit ausrichten. Rawls Auffassung nach sollte Gerechtigkeit als Fairness verstanden werden und die Grundlage des Gesell-schaftsvertrages bilden.
„Für uns ist erster Gegenstand der Gerechtigkeit die Grundstruktur der Gesellschaft, genauer: die Art, wie die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen Grundrechte und -pflichten und die Früchte der gesellschaftlichen Zusammenarbeit verteilen.“ (Rawls 1979, 23) Der Begriff sozialer Gerechtigkeit liefert Maßstäbe zur Beurteilung der Ver-teilungsstrukturen der gesellschaftlichen Grundstrukturen. Für Rawls ist charakteris-tisch, dass seine Grundsätze sich an Gleichheit ausrichten und Ungleichheit nur unter Einschränkungen zustimmungsfähig ist
In einem genialen Gedankenexperiment gelingt es ihm, die Rationalität einer Ausrich-tung an Gleichheit zu zeigen. Dabei soll man sich eine Gruppe von Menschen vor-stellen, die nicht wissen, welche persönlichen Ausstattungsmerkmale (z. B. Geschlecht, soziale Herkunft, Hautfarbe, persönliche Fähigkeiten, Gesundheitszu-stand) sie haben und welche Position (z. B. Einkommen, Wohlhaben) sie in einer von ihnen zu wählenden Gesellschaft haben. Rawls argumentiert: Unter diesem ‚Schleierdes Nichtwissens’ ist es rational, eine Gesellschaft zu wählen, die all ihren Mitglie-dern möglichst gleiche Rechte, Pflichten und Chancen einräumt.
Die Gerechtigkeitsgrundsätze sind (1.) daran ausgerichtet, dass jeder die gleichen Grundfreiheiten besitzt und (2.) dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten so gestaltet sind, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen und mit Ämtern und Positionen verbunden sind, die allen offen stehen (ebd., 81). Zulässige Ungleichheiten sollen zum Wohle der weniger Begünstigten beitragen.
Die Verteilungsgerechtigkeit hängt bei Rawls von den Rahmeninstitutionen ab, die Einfluss auf die Verteilung des gesellschaftlichen Gesamteinkommens und die Um-verteilung haben. Da der Markt keine Rücksicht auf Bedürfnisse von Individuen oder Gruppen nimmt, müssen diese anders berücksichtigt werden.
Die Soziale Arbeit kann sich u. a. auf Rawls beziehen um deutlich zu machen, dass:
• es rationale Gründe für die Begründung von Fairness als gesellschaftliche Grundlage gibt und sie keineswegs auf fürsorglich politische oder moralische Begründungen angewiesen ist,
• die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit in den Institutionen der Gesellschaft angelegt ist und von diesen umgesetzt werden muss,
• die Fragen der Verteilung und der Umverteilung bereits bestehender Wohlstands- und Einflussdifferenzen im Rahmen eines rationalen, ethisch legi-timierten und demokratisch verfassten Diskurses behandelt werden können – und müssen.
• eine Gesellschaft, die Anspruch auf minimale Standards des fairen Umgangs erhebt und dem Ziel dauerhafter Integration verpflichtet ist, eine Institution wie die Soziale Arbeit erfordert.

Amartya Sen: Vorrang für Freiheit und Verwirklichungschancen

Armut sollte als Mangel an Verwirklichungschancen begriffen werden. Im Konzept von Sen (2002) werden Verwirklichungschancen zum zentralen Kriterium für soziale Gerechtigkeit. Die Ermöglichung oder die Verwehrung (bzw. die Nicht-Gewährung) von substanziellen Freiheiten und Möglichkeiten, die es Menschen erlauben das Le-ben zu führen, das sie anstreben, wird zum gesellschaftlichen Maßstab für Verwirkli-chungschancen.
„Was im „Ansatz der Verwirklichungschancen“ einer Wertung unterliegt, sind entwe-der die realisierten Funktionen (das, was jemand tatsächlich zu tun fähig ist) oder die Menge der Verwirklichungschancen von verfügbaren Alternativen (ihre wirklichen Chancen)“ (ebd., 96).
Sens Theorie setzt bei den Verwirklichungschancen an und rückt die grundlegende Freiheit der Menschen ins Zentrum – sein Plädoyer gilt der Erweiterung von Freiheit und Wohlstand, sowie der Beeinflussung des sozialen Wandels und der wirtschaftli-chen Produktion. Die leitende Idee ist, dass Menschen ein für sie erstrebenswertes Leben führen möchten und die realen Entwicklungsmöglichkeiten auszuweiten sind (Sen 2007, 348).
Sen möchte seine Theorie der sozialen Gerechtigkeit nicht an der Einkommenshöhe von Einzelnen oder Familien orientieren, denn Armut ist nicht nur Mangel an Ein-kommen sondern auch an Zugangschancen zu Bildung, Gesundheit, Kontakten, Kommunikation und kulturellen Gütern. Aber auch wenn er die Vorstellung von Ar-mut als Mangel an Verwirklichungschancen von dem Ansatz trennt, der diese über niedriges Einkommen definiert, betont er, dass die „beiden Perspektiven miteinan-der gekoppelt“ sind (ebd., 113).

Vor diesem Hintergrund entsteht die Verpflichtung von Staaten entsprechende An-strengungen zur Ausweitung von Bildungsangeboten, Gesundheitssorge und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen zu unternehmen. Der Spannungsbogen von materiellem Einkommen und Verwirklichungschancen umfasst die Möglichkeiten ein unversehrtes Leben zu führen.
Sein Credo ist, dass die Erweiterung der Freiheiten, die auf Verwirklichungschancen beruhen, eine insgesamt positive Entwicklung für Individuen und Gesellschaften si-chert und darüber hinaus auch die wirtschaftliche Entwicklung unterstützt.
Der Ansatz bildet in den Reichtums- und Armutsberichten der Regierung und zahlrei-chen Studien die theoretische Referenz. Innerhalb der Sozialen Arbeit wird er positiv aufgenommen und bei Stellungnahmen zur Armut berücksichtigt. Die Soziale Arbeit profitiert von ihm durch:
• Die Zurückweisung der unangemessenen Gegenüberstellung von Freiheit und sozialen Leistungen
• Die Überwindung der Perspektiveneingrenzung auf die Einkommenssituation
• Den Bezug auf Belastungskombinationen von Einzelnen, Familien und Grup-pen
• Die Aufmerksamkeit dafür, individuelle Perspektiven zu berücksichtigen und sie mit staatlichen Angeboten und ihrem Versagen in Bezug zu setzen
• Die Betonung individuell und gruppenspezifisch unterschiedlicher Verwirkli-chungschancen begründet die Notwendigkeit der Sozialen Arbeit, die sozial-staatlichen Leistungen individualisiert und auf die soziale Situation und den sozialen Raum abgestimmt anzubieten (zu kontextualisieren).

Axel Honneth: Umverteilung als Anerkennung

Honneth 2003 stellt seine Überlegungen zu einer Konzeption sozialer Gerechtigkeit im Rahmen einer Gesellschaftstheorie vor. Ihn bewegt die Frage, wo die Dynamik zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Interesse ihrer Bürger ihre Basis hat. Er rechnet in der gegenwärtigen Gesellschaft mit verschiedenen Grundty-pen von moralisch bedeutsamen Konflikten.
Sein Ausgangsgedanke ist, dass jeder Mensch in seiner Entwicklung und Identitäts-bildung auf soziale Umgangsformen in seiner Umgebung angewiesen ist, die auf wechselseitiger Anerkennung gründen. Die Möglichkeiten zur Verwirklichung von in-dividueller Autonomie sind auf die Erfahrungen sozialer Anerkennung angewiesen, da nur so ein intaktes Selbstverhältnis entwickelt werden kann (ebd., 213). Der Weg-fall solcher Anerkennungsbeziehungen hat Erfahrungen von Missachtung oder De-mütigung zu Folge.
Im Kern geht es ihm um eine Sozialordnung, in der die Individuen die Möglichkeit für eine intakte Identität der Fürsorge, der rechtlichen Gleichstellung und der sozialen Wertschätzungen (auch für ihre Leistungen) haben (ebd., 215). Diese drei Anerken-nungsprinzipien (Liebe, Wertschätzung, Recht) bilden den normativen Kern einer Konzeption sozialer Gerechtigkeit (s.o.).
Im Gegensatz zu Miller und dessen drei Gerechtigkeitsprinzipien ergeben sich Hon-neths Anerkennungsprinzipien nicht aus der Übereinstimmung mit empirischen Be-funden, den Grundformen von Sozialbeziehungen oder begründbaren Verteilungsgrundsätzen sondern aus den historisch hervorgebrachten Bedingungen einer gesellschaftlichen Sozialordnung.
Honneth ordnet seinen Vorschlag in eine Tradition kritischer Gesellschaftstheorie ein. Für ihn ist es leitend, die sozialen Kämpfe der Gegenwart theoretisch angemessen zu analysieren und sich mit Fragen ihrer moralischen Bewertung zu beschäftigen. Er hält es für angemessen „… Verteilungskonflikte als die spezifische Art von Anerken-nungskämpfen zu interpretieren, in denen um die angemessene Bewertung der sozi-alen Beiträge von Individuen oder Gruppen gestritten wird“ (ebd. 202).
Honneth möchte die Gesellschaft von innen heraus rekonstruieren, um die sozialen Kommunikationsvorgänge zu beschreiben. Er will die Ordnungen analysieren, nach denen die Individuen mit sozialer Anerkennung rechnen können und zu einer ‚sozia-len Existenz’ gelangen (ebd. 287). Es geht um die Legitimität von Ansprüchen auf soziale Anerkennung, bspw. die Bedingungen für gelingendes Aufwachsen, die Be-rücksichtigung der Lebensbedingungen für Alleinerziehende oder die Förderung der Kinder von Migranten. Im Rahmen einer Gegenüberstellung von System- und Sozial-integration sieht Honneth ein Primat der Sozialintegration, da ungerechte Sozialord-nungen letztlich sozial akzeptiert werden müssten um ihre Stabilität zu erlangen.
Für die Soziale Arbeit bietet der Ansatz von Honneth u.a. folgende Perspektiven:
• Fragen der Gerechtigkeit sind grundlegend mit unserer Sozialordnung und der Akzeptanz der Gesellschaftsordnung verbunden
• Gerechtigkeit ist eng mit den Bedingungen des Aufwachsens und den Möglich-keiten wechselseitiger Anerkennung verbunden
• Anerkennung ist eine individuelle, sozialgeschichtliche und gesellschaftliche Kategorie von grundlegender Bedeutung für das Zusammenleben von Men-schen
Gesellschaftliche Dynamiken hin zu mehr Gerechtigkeit sind mit moralisch ge-fassten Konflikten verbunden und nicht zwangsläufig und vorrangig Konflikte entsprechend dem Schema Arbeitgeber versus Arbeitnehmer.

David Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit

Nach Millers Theorie muss soziale Gerechtigkeit im Diskurs der Gesellschaft veran-kert sein. Sein Theorieentwurf will die Brücke zwischen den empirischen Forschun-gen über unser Gerechtigkeitsempfinden und Theorien schlagen, die sich auf die Kraft ihrer Argumente verlassen.
Zu den Annahmen seines Ansatzes gehört, dass er sich auf einen Nationalstaat, die Institutionen und die Mitglieder der Gesellschaft bezieht (was er u.a. pragmatisch be-gründet). Eine Kultur der sozialen Gerechtigkeit betrifft Staat, staatliche und nicht-staatliche Institutionen sowie die einzelnen Gesellschaftsmitglieder. Die Soziale Arbeit ist ein Akteur dieses Diskurses, sowohl über die staatlichen Jugendämter als auch über die großen Wohlfahrtsorganisationen. Für die Soziale Arbeit besteht durch Einmischung die Möglichkeit eine Kultur der sozialen Gerechtigkeit zu fördern. Mit dem Begriff der Verteilung, so seine Warnung, ist nicht die Vorstellung einer zentra-len Vergabestelle verbunden sondern die Zielsetzung, das Zusammenspiel gesell-schaftlicher Strukturen und Praktiken im Blick zu behalten.
Die Theorie der sozialen Gerechtigkeit von Miller nimmt ihren Ausgangspunkt nicht in den Grundgütern des Lebens oder der Verteilungsprinzipien des Gesellschaftsver-trages sondern in den „Grundformen sozialer Beziehungen“. Unseren Erfahrungen entspricht es, dass wir Gerechtigkeitsvorstellungen, die wir an andere richten, mit dem jeweiligen Beziehungskontext des anderen verbinden. Den drei Grundformen, in denen Bürger die Bedeutung sozialer Gerechtigkeit verankern, ordnet er Vertei-lungsprinzipien zu:
In solidarischen Gemeinschaften (Face-to-face-Beziehungen, Familien, Vereinen, Teams, wo man sich kennt und die Grenzen zwischen Notwendigkeiten und weiterei-chenden Wünschen unterscheiden kann) ist das Verteilungsprinzip „Bedarf“.

In Zweckverbänden hat jeder Interessen, verfolgt Ziele und Zwecke, die am ehesten in der Zusammenarbeit mit anderen verwirklicht werden können (Miller 2008, 68) und der Verdienst des Einzelnen wird an den Zielen des Verbandes gemessen - hier ist das leitende Verteilungsprinzip „Leistung“.
Die Staatsbürgerschaft ist die weitere grundlegende Vergesellschaftungsform, da sich die Bürger nicht nur in Gemeinschaften und Zweckverbänden begegnen son-dern als Mitbürger mit Rechten und Pflichten - deshalb gilt hier das Verteilungsprinzip „Gleichheit“.
Für die Soziale Arbeit bietet die plurale Theorie der sozialen Gerechtigkeit von Miller erhebliche Vorzüge; sie:
• bezieht das Gerechtigkeitsempfinden der Bürger ein
• nimmt ihren Ausgangspunkt in sozialen Grundformen, was den Arbeitsfeldern und dem Leistungsspektrum der Sozialen Arbeit entspricht
• bietet kontextbezogenen, sich ergänzende und nicht ausschließende, Gerech-tigkeitsprinzipien sowie eine alternative Sicht auf die Debatte Gleichheit und Gerechtigkeit,
• liefert mit den Prinzipien Bedarf, Verdienst und Gleichheit für die Arbeitsfelder und die Organisationen Sozialer Arbeit praktikable Instrumente für die Entwick-lung von Zielsetzungen, Brückenkonzepten (zu Medien, Organisationen und Sozialräumen) und Hinweisen für die Reflexion.