Das Helfersystem

Helfersysteme etablieren sich durch die Beschäftigung mit sozialen Zusammenhängen, die von ihnen als problematisch angesehen werden. Diese problematischen Sachverhalte sind dabei nicht im Helfersystem selbst zu finden, sondern werden fremdreferentiell in anderen Systemen beobachtet, z.B. in Bezug auf

  • das Wirtschaftssystem (fehlende Arbeitsplätze, problematische Zugangsregeln für bestimmte Gruppen von Jugendlichen),
  • das Rechtssystem (Jugendgerichtshilfe, Bewährungshilfe, Gefängnissozialarbeit, Drogenberatung),
  • das politische System (vgl. z. B. Luhmann 2002), das mit der Aufgabe der Herstellung sozialer Gerechtigkeit zum Teil überfordert ist und deshalb Aufgaben an das System Soziale Arbeit delegiert. Eine Folge davon ist, dass sich die Soziale Arbeit in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten ausdehnte.
  • oder unter Bezugnahme auf soziale Systemen, wie dem Familiensystem oder Nachbarschaftssystemen. Zu den Systemen, zu denen Kontakt aufgenommen und stabilisiert wird, gehören auch Problemsysteme, die von KlientInnen bezeichnet werden und im Rahmen von Klientensystemen Aufmerksamkeit und Beachtung finden.

An der Kommunikation des Helfersystems (siehe System-Umwelt-Beziehungen) ist nicht ausschließlich die Soziale Arbeit beteiligt, eher ist von einer Beteiligung von Organisationen anderer Funktionssysteme auszugehen (z.B. Medizin/Krankenhaus, Bildung/Schule, Recht/Polizei, Wirtschaft/Vermieter). Die Beobachtung eines Problemzusammenhanges unter der Perspektive des Klient/Nicht-Klient ist jedoch spezifisch für die Soziale Arbeit. Helfersysteme der Sozialen Arbeit stabilisieren (zeitlich, sachlich, sozial) einen Zusammenhang, der von verschiedenen Akteuren (Adressaten, Geld- und Gesetzgebern, sozialen oder regionalen Gemeinschaften) als sozial zu gestalten betrachtet wird. Helfersysteme problematisieren dazu die Entstehungsgeschichte, die Folgen und die Veränderungshorizonte und -möglichkeiten für Menschen, andere Systeme und die Gesellschaft.

Damit sich Helfersysteme zeitlich und sachlich stabilisieren können, sind sie auf die Existenz von Klientensystemen, einem Strom von nicht abreißenden sozialen Fragen und Problemen, angewiesen. Dies wirkt sich folgenreich in der Art und Weise ihrer Problemdefinitionen aus. Die systemstabilisierende Gemeinsamkeit für Helfersysteme der Sozialen Arbeit besteht in immer wieder neu herzustellenden Übereinkünften, dass eine Differenz (ein als Problem definierter Zusammenhang) zu überwinden ist. Wie das folgende Beispiel zeigt, kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass eine übereinstimmende Sichtweise darüber besteht, was das (entscheidende) Problem ist und wie es bearbeitet werden kann.

Ein Beispiel:

Während eine Lehrerin die fortgesetzte Störung des Unterrichts durch einen Schüler und die Uneinsichtigkeit seiner Eltern, auf ihn entsprechend einzuwirken, als Problem für seine Leistungen sieht, beobachtet der Schulpsychologe möglicherweise eine Unterforderung des Jungen, da die Ansprüche des Unterrichts nicht seinen intellektuellen Fähigkeiten angemessen seien und ihn daher nicht motivierten. Die Familienhelferin hingegen sieht in dem Verhalten des Kindes den Versuch, die beiden Elternteile von einer Trennung abzuhalten, da sie sich so um sein problematisches Verhalten kümmern müssen und die Trennung beide Elternteile mit schwer erträglichen Schuldgefühlen belasten würde.

Das Beispiel verdeutlicht, dass der Gegenstand Sozialer Arbeit unter verschiedene Aspekten unterschiedlich interpretiert wird und durchaus strittig sein kann. Was im einzelnen thematisiert wird und den aktuellen Fokus der Interaktion bildet unterliegt einem mehrstufigen Konstruktionsprozess. Es wird im Helfer-Klient-System unter Einbezug der KlientInnen und der aktuellen Situation modelliert. Der Begriff ‚modelliert' ist deshalb angemessen und (zwingend) geboten, weil ohne die Rahmenvorgaben des Klienten- und des Helfersystems keine Bestimmung des Geschehens in der Helfer-Klienten-Interaktion möglich ist. Wie mit dem Prinzip der operationalen Schließung dargestellt wurde, besteht für Helfersysteme keine Möglichkeit des ‚linearen Durchgriffs' auf Klientensysteme. Auch wenn die Möglichkeit besteht, Gelder zu kürzen, Ablehnungen und Auflagen zu formulieren und ggf. die Unterstützung des Rechtssystems in Anspruch zu nehmen, um bestimmte Ziele durchzusetzen: wie das Klientensystem diese Ereignisse verarbeitet, wird im Klientensystem selbst festgelegt, denn die Gedanken sind frei und Gefühle kann man anderen nicht vorschreiben.

Für Helfersysteme besteht die Möglichkeit und die Notwendigkeit ihre Beziehungen zu anderen Helfersystemen unterschiedlich zu gestalten (z.B., wenn alle Bewohner eines Bezirkes gleichzeitig zu ihrem Bezirkssozialarbeiter gehen würden, wäre dieser nicht mehr handlungsfähig). Verschiedene Formen der Systembeziehungen zwischen dem Helfer- und den möglichen Klientensystemen werden im folgenden Schaubild dargestellt:

Um ihre Leistungen erbringen zu können, sind Helfersysteme - wie andere Systeme auch - darauf angewiesen, ihre Eigensinnigkeiten und Eigengesetzlichkeiten, kurz ihre Selbstreferenzen, durchzusetzen. Sie benötigen z. B. Geld, Zustimmung und die Möglichkeit, von eigenen Problembeschreibungen ausgehen zu können. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Organisationen der Sozialen Arbeit untereinander konkurrieren und auch nach den Prinzipien des Selbsterhalts agieren.