Helfer-Klient-System

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Kurs: 1.2B/VHB "Einführung in systemtheoretische Grundlagen" - Musterkurs (Kirchner)
Buch: Helfer-Klient-System
Gedruckt von: Gast
Datum: Sonntag, 24. November 2024, 16:18

Einführung

Warum muss das wieder so kompliziert werden? Reicht es nicht aus zwischen Helfer- und Klientensystemen zu unterscheiden? Was bringt das dritte System, das Helfer-Klient-System, zusätzlich? Diese und ähnliche Fragen sind angesichts des Auftauchens eines weiteren Systems, dem Helfer-Klienten-System, nur zu verständlich, da in der Literatur zahlreiche Erläuterungen der Praxis ohne diese Unterscheidung auskommen. Der Text will die Begriffe Helfersystem, Klientensystem und Helfer-Klient-System klären sowie die Wechselwirkungen dieser Systeme untereinander in ihrer Relevanz für die Soziale Arbeit beleuchten. Dabei soll auch kurz skizziert werden, wie Personen überhaupt zu KlientInnen der Sozialen Arbeit werden können.

Die drei genannten Systeme bedingen sich wechselseitig und werden hier aus praktischen Gründen nacheinander dargestellt. Sie sind aber auch unabhängig voneinander zu betrachten und haben ihre spezifischen Umwelten und Beziehungen zu anderen Systemen. Die Systeme Helfer-, Klienten- und Helfer-Klient-System kennzeichnen sich durch spezifische Systembedingungen, -erfordernisse und Charakteristika. Daher kann gefragt werden: An welchen Kontexten richten die jeweiligen Systeme ihre Entscheidungen und Handlungen aus, das heißt z.B. an welchen Geschichten, Zeit- und Ressourcenbedarfen und Erfolgskriterien?

Das Besondere an dieser systemischen Betrachtung wird deutlich, vergegenwärtigt man sich, dass die Systeme jeweils Umwelt füreinander darstellen. Auf diese Art ist es möglich, Unabhängigkeit und Abhängigkeit der drei Systeme mit einer einheitlichen Perspektive in den Blick zu nehmen und Zusammenhänge zu erfassen. So besteht der Zugewinn, der den Mehraufwand rechtfertigt, insbesondere in den neuen Ordnungs- und Reflexionsmöglichkeiten für die Praxis der Sozialen Arbeit, da so die jeweiligen Eigenlogiken und Eigensinnigkeiten der Helfer-, Klienten- und Helfer-Klienten-Systeme beobachtet und berücksichtigt werden können.

Das Helfersystem

Helfersysteme etablieren sich durch die Beschäftigung mit sozialen Zusammenhängen, die von ihnen als problematisch angesehen werden. Diese problematischen Sachverhalte sind dabei nicht im Helfersystem selbst zu finden, sondern werden fremdreferentiell in anderen Systemen beobachtet, z.B. in Bezug auf

  • das Wirtschaftssystem (fehlende Arbeitsplätze, problematische Zugangsregeln für bestimmte Gruppen von Jugendlichen),
  • das Rechtssystem (Jugendgerichtshilfe, Bewährungshilfe, Gefängnissozialarbeit, Drogenberatung),
  • das politische System (vgl. z. B. Luhmann 2002), das mit der Aufgabe der Herstellung sozialer Gerechtigkeit zum Teil überfordert ist und deshalb Aufgaben an das System Soziale Arbeit delegiert. Eine Folge davon ist, dass sich die Soziale Arbeit in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten ausdehnte.
  • oder unter Bezugnahme auf soziale Systemen, wie dem Familiensystem oder Nachbarschaftssystemen. Zu den Systemen, zu denen Kontakt aufgenommen und stabilisiert wird, gehören auch Problemsysteme, die von KlientInnen bezeichnet werden und im Rahmen von Klientensystemen Aufmerksamkeit und Beachtung finden.

An der Kommunikation des Helfersystems (siehe System-Umwelt-Beziehungen) ist nicht ausschließlich die Soziale Arbeit beteiligt, eher ist von einer Beteiligung von Organisationen anderer Funktionssysteme auszugehen (z.B. Medizin/Krankenhaus, Bildung/Schule, Recht/Polizei, Wirtschaft/Vermieter). Die Beobachtung eines Problemzusammenhanges unter der Perspektive des Klient/Nicht-Klient ist jedoch spezifisch für die Soziale Arbeit. Helfersysteme der Sozialen Arbeit stabilisieren (zeitlich, sachlich, sozial) einen Zusammenhang, der von verschiedenen Akteuren (Adressaten, Geld- und Gesetzgebern, sozialen oder regionalen Gemeinschaften) als sozial zu gestalten betrachtet wird. Helfersysteme problematisieren dazu die Entstehungsgeschichte, die Folgen und die Veränderungshorizonte und -möglichkeiten für Menschen, andere Systeme und die Gesellschaft.

Damit sich Helfersysteme zeitlich und sachlich stabilisieren können, sind sie auf die Existenz von Klientensystemen, einem Strom von nicht abreißenden sozialen Fragen und Problemen, angewiesen. Dies wirkt sich folgenreich in der Art und Weise ihrer Problemdefinitionen aus. Die systemstabilisierende Gemeinsamkeit für Helfersysteme der Sozialen Arbeit besteht in immer wieder neu herzustellenden Übereinkünften, dass eine Differenz (ein als Problem definierter Zusammenhang) zu überwinden ist. Wie das folgende Beispiel zeigt, kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass eine übereinstimmende Sichtweise darüber besteht, was das (entscheidende) Problem ist und wie es bearbeitet werden kann.

Ein Beispiel:

Während eine Lehrerin die fortgesetzte Störung des Unterrichts durch einen Schüler und die Uneinsichtigkeit seiner Eltern, auf ihn entsprechend einzuwirken, als Problem für seine Leistungen sieht, beobachtet der Schulpsychologe möglicherweise eine Unterforderung des Jungen, da die Ansprüche des Unterrichts nicht seinen intellektuellen Fähigkeiten angemessen seien und ihn daher nicht motivierten. Die Familienhelferin hingegen sieht in dem Verhalten des Kindes den Versuch, die beiden Elternteile von einer Trennung abzuhalten, da sie sich so um sein problematisches Verhalten kümmern müssen und die Trennung beide Elternteile mit schwer erträglichen Schuldgefühlen belasten würde.

Das Beispiel verdeutlicht, dass der Gegenstand Sozialer Arbeit unter verschiedene Aspekten unterschiedlich interpretiert wird und durchaus strittig sein kann. Was im einzelnen thematisiert wird und den aktuellen Fokus der Interaktion bildet unterliegt einem mehrstufigen Konstruktionsprozess. Es wird im Helfer-Klient-System unter Einbezug der KlientInnen und der aktuellen Situation modelliert. Der Begriff ‚modelliert' ist deshalb angemessen und (zwingend) geboten, weil ohne die Rahmenvorgaben des Klienten- und des Helfersystems keine Bestimmung des Geschehens in der Helfer-Klienten-Interaktion möglich ist. Wie mit dem Prinzip der operationalen Schließung dargestellt wurde, besteht für Helfersysteme keine Möglichkeit des ‚linearen Durchgriffs' auf Klientensysteme. Auch wenn die Möglichkeit besteht, Gelder zu kürzen, Ablehnungen und Auflagen zu formulieren und ggf. die Unterstützung des Rechtssystems in Anspruch zu nehmen, um bestimmte Ziele durchzusetzen: wie das Klientensystem diese Ereignisse verarbeitet, wird im Klientensystem selbst festgelegt, denn die Gedanken sind frei und Gefühle kann man anderen nicht vorschreiben.

Für Helfersysteme besteht die Möglichkeit und die Notwendigkeit ihre Beziehungen zu anderen Helfersystemen unterschiedlich zu gestalten (z.B., wenn alle Bewohner eines Bezirkes gleichzeitig zu ihrem Bezirkssozialarbeiter gehen würden, wäre dieser nicht mehr handlungsfähig). Verschiedene Formen der Systembeziehungen zwischen dem Helfer- und den möglichen Klientensystemen werden im folgenden Schaubild dargestellt:

Um ihre Leistungen erbringen zu können, sind Helfersysteme - wie andere Systeme auch - darauf angewiesen, ihre Eigensinnigkeiten und Eigengesetzlichkeiten, kurz ihre Selbstreferenzen, durchzusetzen. Sie benötigen z. B. Geld, Zustimmung und die Möglichkeit, von eigenen Problembeschreibungen ausgehen zu können. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Organisationen der Sozialen Arbeit untereinander konkurrieren und auch nach den Prinzipien des Selbsterhalts agieren.

Das Klientensystem

Als Klientensystem kann in einer ersten Annäherung das soziale System verstanden werden, welches um den oder die KlientInnen besteht. Daraus folgt, dass der Begriff ‚Klient' nicht mit dem Klientensystem gleichzusetzen ist. Und fast noch wichtiger: Das Klientensystem ist nicht identisch mit dem Familien- oder Verwandtschaftssystem. Auch ist die Lebenswelt der KlientInnen nicht mit dem Klientensystem zu verwechseln, selbst wenn sich zahlreiche Bezüge aufdrängen.

Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass bei den Beteiligten Unterschiede darüber bestehen, wer zum Klientensystem gerechnet wird. So kann aus der Perspektive der Sozialen Arbeit z.B. im Einzelfall der Hausarzt dazu gerechnet werden, während die KlientInnen ihn als ‚wenig beteiligten Neutralen' betrachten. Im Laufe der Zusammenarbeit können sich sowohl die Zusammensetzung als auch die Funktionen das Klientensystem ändern.

Versteht man das Klientensystem als ein soziales System im Sinne Luhmanns, besteht es nicht aus Individuen, sondern aus Kommunikation. Somit ist es möglich, auch nicht direkt anwesende Individuen oder Organisationen, wie das Sozial- oder Arbeitsamt, die Ausländerbehörde u.ä. in ihren Auswirkungen auf den Kommunikationszusammenhang als zum Klientensystem gehörend zu berücksichtigen (innerhalb des Klientensystems) oder als dessen Umwelt. In der Interaktion mit KlientInnen wird ein Zusammenhang gebildet, der als Klientensystem beobachtet und einbezogen werden kann. Ob in einem Einzelfall eine Person oder eine Organisation, wie die ARGE, zum Klientensystem gehört oder zu einer bedeutsamen Umwelt gerechnet wird, kann nicht generell festgelegt werden, sondern muss von Fall zu Fall unterschiedlich entschieden werden.

Die ältere systemtheoretische Literatur zu Familienproblemen betonte als neue Sicht die Auffassung, ein Familiensystem habe eine schwierige Situation zu bewältigen und der ‚identifizierte Patient' würde dies mit seinem Verhalten zum Ausdruck bringen. Das ‚Problem' bestände auf der Ebene des Systems und das als krank bezeichnete Verhalten sei ein Ausdruck davon. Welter-Enderlin (1988) hat frühzeitig darauf hingewiesen, dass auch eine andere Entwicklung und Lesart denkbar und sinnvoll ist: um ein problematisches Verhalten herum bildet sich ein System. Beteiligte und Helfer verdichten ihre Aufmerksamkeit und ihre Kommunikation derart, dass sinnvollerweise von einem Problemsystem gesprochen werden kann. Festzuhalten ist:

  • Ein Klientensystem ist nicht gleichzusetzen mit dem Problemsystem.
  • Klientensysteme sind zentrale Quellen für Lösungspotenziale.
  • Problemsysteme haben eine andere Entwicklungsgeschichte als Klientensysteme.
  • Problem- und Klientensysteme können Startbedingungen für Aktivitäten der Sozialen Arbeit schaffen.
  • Über Klientensysteme findet die Soziale Arbeit dauerhaft Zugang zum Problemsystem und zum Lösungssystem.

Von einem Klientensystem kann gesprochen werden, wenn:

  • es einen Beobachter gibt, der die Unterscheidung Klient/Nicht-Klient trifft,
  • sich Unterscheidungen beschreiben lassen zwischen zum Klientensystem gehörend und nicht dazu gehörend,
  • sich selbstreferentielle Interaktionen beobachten lassen (Interaktionen, die sich aufeinander beziehen),
  • sich eine Klientensystemgeschichte beschreiben lässt.

Helfer-Klient-System

Das Helfer-Klient-System ist sowohl mit dem Helfer- als auch mit dem Klientensystem verbunden und doch jeweils unabhängig davon. In systemtheoretischer Logik wird von einer strukturellen Kopplung gesprochen. Das heißt, erst eine strukturelle Kopplung lässt ein Helfer-Klient-System entstehen. Diese Kopplung erfolgt vom Prinzip her über einen Konsens, eine Übereinkunft und einen Kontrakt. Sie können als Inhalt einen als problematisch wahrgenommenen Sachverhalt haben, der als veränderungsbedürftig bewertet wird. Es kann nicht von einer Übereinstimmung von Helfersystem und Klientensystem ausgegangen werden, welches Verhalten oder welche Situation als Problemzusammenhang beobachtet wird. Die gegenseitige Abstimmung darüber ist zum Teil bereits Gegenstand sozialarbeiterischen Handelns.

Es ist für die Bearbeitung von Fällen notwendig, dass ein eigenständiges Helfer-Klient-System entsteht. Denn: Erst diese Eigenständigkeit ermöglicht den für die zwischensystemische Vermittlungsarbeit (vgl. Kleve 1999a) notwendigen Schutzraum für Positionswechsel.

Ein Beispiel:

Damit die Stellungnahme eines Sozialarbeiters, der für die Jugendgerichtshilfe tätig ist, dem Richter gegenüber Gewicht erhalten kann, sollte er glaubwürdig und nachvollziehbar aus der Perspektive des Jugendlichen Stellung nehmen können. Um das dafür notwendige Vertrauen des Jugendlichen bekommen zu können, sollte er diesem gegenüber glaubwürdig ein bestimmtes Maß an Autonomie verdeutlichen können (Wenn keine Differenz zwischen Jugendgerichtshelfer und Richter nachvollziehbar ist, wird erster überflüssig). Erst vor diesem Hintergrund kann der oder die VertreterIn der Sozialen Arbeit die erwartete Kommunikation zur Verfügung stellen. Das heißt, dass er unter anderem Resonanzen erzeugt, die es - über den Einzelfall hinaus - sowohl dem Rechtssystem wie der Gesellschaft erlauben, auf soziale Problemstellungen von Jugendlichen zu reagieren.

Zu der Interaktion zwischen Helfern und KlientInnen - mit all ihren Möglichkeiten des Missverstehens - kommen noch weitere Erwartungen an das Helfer-Klient-System, z.B. durch Berufsethik, das eigene Verständnis von Hilfe, rechtliche Normen (z.B. die Vorstellungen über das Kindeswohl am zuständigen Gericht), Trägerstatuten, öffentliche Meinung etc. Indem diese Erwartungen als Kontextvariablen in die Situation eingehen, zur Sprache kommen, kommunikativ in die Interaktionen eingehen, entsteht ein sozialer Zusammenhang, ein soziales Band. Ob diese möglichen Einflussnahmen von den KlientInnen als hilfreich erlebt werden, ist für die Reaktionen des Helfer-Klient-Systems nicht alleine ausschlaggebend (z.B. bei der Inobhutnahme eines Kindes im Falle seiner Gefährdung).

Einige der Fragen, die sich aus dem Beschriebenen ergeben, beziehen sich auf die Autonomie der Sozialen Arbeit bei ihrer Gestaltung des Helfer-Klient-Systems. Weitere Fragestellungen sind:

  • Unter welchen Bedingungen reagiert die Soziale Arbeit auf Hilfegesuche mit der Bildung eines Helfer-Klient-Systems?
  • Unter welchen Bedingungen wird Soziale Arbeit von sich aus tätig, um ein solches System einzurichten?
  • Wie wird aus einem Adressaten ein Klient?
  • Wie kommt es zu einem Helfer-Klient-System?

Einige Aspekte zu diesen Fragestellungen sollen hier kurz skizziert werden. Man kann damit anfangen, darüber nachzudenken, dass nicht "die" Soziale Arbeit Klienten als solche beobachtet, sondern SozialarbeiterInnen in Organisationssystemen der Sozialen Arbeit. Diese arbeiten mit spezifischen Konzepten, überlieferten Handlungs- und Deutungsmustern im Rahmen sogenannter Programme. Programme bieten übergreifende Kriterien, nach denen entschieden werden kann, ob die eine oder die andere Seite der Entscheidungsalternative Fall oder Nicht-Fall bezeichnet werden kann. Diese Programme gliedern Arbeitsfelder und Arbeitsbereiche, die jeweiligen Organisationen unterscheiden sich mit ihren Konzepten, Traditionen und Bedingungen.

Beispiel:

Konzepte von Frauenhäusern, die sich auf ein vergleichbares Programm des Helfens beziehen, unterscheiden sich voneinander. Dieses Programm wiederum unterscheidet sich von anderen Programmen, die auf die Problemstellungen im Bereich der Behindertenarbeit reagieren und hier relevant sind. In diesem Rahmen wiederum werden unterschiedliche Problemlagen als für das einzelne Organisationssysteme als relevant und bearbeitbar betrachtet.


Vorteile der Unterscheidung

Die Unterscheidung in Helfersystem, Klientensystem und Helfer-Klient-System ermöglicht eine systematische und detaillierte Analyse der Voraussetzungen, Aufgaben und Erfolgsperspektiven sozialarbeiterischen Handelns. Mit dieser Unterscheidung in drei Systeme wird eine Art Landkarte für die unterschiedlichen Zusammenhänge eines Falles geschaffen, die es erlaubt, die jeweiligen eigensinnigen Logiken, Anforderungen und Erfordernisse zu ordnen. Ein wesentlicher Vorteil ist, dass unabhängig vom "Problem", das sich durch eine eingeschränkte und einschränkende Sichtweise kennzeichnen lässt, die differenzierte Struktur der Sozialen Arbeit als Chance sichtbar wird, soziale Räume für KlientInnen zu öffnen und zu erweitern.

In der Praxis und in der Theorie lassen sich spezifische Themen der Sozialen Arbeit den verschiedenen Systemen zuordnen. Ähnlich wie Systeme sind die Themen in der Praxis miteinander verbunden. Die Themen werden in der folgenden Übersicht nur benannt, da sie ausführlich und seit vielen Jahren in der Fachliteratur diskutiert werden.

Indem die drei Systeme Helfersystem, Klientensystem und Helfer-Klient-System unterschieden werden, ist es möglich, sowohl deren jeweilige Unabhängigkeit als auch deren jeweilige Bezogenheit aufeinander zu erfassen (zu erfragen). Besonders deutlich werden die Besonderheiten der drei Systeme, wenn der Blick auf deren jeweilige Systemgeschichte gerichtet wird. Diese Möglichkeit lässt sich in der Praxis nutzen. Die folgende Übersicht zeigt Fragebeispiele zur Systemgeschichte des Helfersystems, des Klientensystems und des Helfer-Klient-Systems:

Nach dieser Übersicht zu den Zugangsmöglichkeiten zur Systemgeschichte, sollen kurze Beispiele misslingender Perspektiven die wechselseitige Abhängigkeit der drei Systeme noch einmal verdeutlichen: So ist es möglich, eine Binnenwelt in der Interaktion zwischen HelferIn und KlientIn zu schaffen, die sich von den Erfordernissen der anderen Systeme weitgehend abkoppelt (‚nette Stunde'). Im Fall, dass die Institution die Erfordernisse des Interaktionssystems von Helfer und Klient unberücksichtigt lässt (‚vermitteln sie dem Jugendlichen, dass er seine Schule zu Ende bringt'), laufen die Bemühungen und der Aufwand ebenso in Leere. Versuchen KlientInnen, das Helfersystem zu instrumentalisieren, (‚ich brauch die Unterstützung zum überleben') riskieren sie den Abbruch der Unterstützung.


Leistung des systemtischen Ansatzes

Ein zentraler Vorteil der systemischen Sichtweise besteht darin, dass damit Praxis adäquater beschreibbar wird. Denn in der Praxis ist der Sozialarbeiter sowohl ein Außenstehender im Verhältnis zum Klienten und seinen sozialen Beziehungen als auch einer, der selbst Teil eines gemeinsamen Prozesses mit den KlientInnen ist. Und er ist gleichzeitig vom Klienten unabhängig, da er als Angehöriger seiner Organisation vom einzelnen Klienten prinzipiell nicht abhängig ist. Diese dreifache Beschreibungswirklichkeit gilt für die KlientInnen ebenso: Sie sind Außenstehende für die Organisation der Sozialen Arbeit, Teil eines gemeinsamen Prozesses mit ‚ihrem' Sozialarbeiter und verfügen über ein von der Sozialen Arbeit unabhängiges Leben.

Alle drei Systeme können jeweils auf der Innen- und Außenseite reflektiert werden. Z. B. können die Systemgrenzen des Helfer-Klient-Systems

  • auf der Binnenseite reflektiert werden (Läuft unsere Beratung gut? Wie kann ich Sie besser verstehen? Was erwarten Sie von mir? Wie lange wollen wir noch zusammenarbeiten?)
  • und auf der Außenseite reflektiert werden (Was verschreibt Ihnen Ihr Hausarzt? Wie können Sie die Zeiten Ihrer Arbeit anders gestalten? Wie wird die Beratung von Ihren Eltern erlebt?).

Wenn es aus der Sicht der Beteiligten erforderlich ist, können die Systemgrenzen des Helfer-Klient-Systems neu strukturiert werden. Dieses Verständnis ermöglicht es, für die Bearbeitung des Problemzusammenhangs Sachverhalte und/ oder Personen zu berücksichtigen oder wieder aus dem Blickfeld zu nehmen. Dadurch wird für die Soziale Arbeit eine soziale Vermittlungsfunktion und eine Moderationsrolle zwischen verschiedenen Problemsichten und den damit verbundenen Lösungsvorstellungen möglich (z.B. Sicht der Mutter, des Kindes, des Jugendamtes, der Lehrerin, des Richters etc.), ohne sich jedoch selbst aus diesem Zusammenhang herauszunehmen. Die Reflexion des Geschehens ist nicht auf die Klienten fixiert, sondern erlaubt die unterschiedlichen sozialen, institutionellen und gesellschaftlichen Akteure und Verhältnisse wahrzunehmen und in Bezug zu setzen.

In dieser Form realisiert sich Soziale Arbeit, sie nimmt Einfluss auf ‚soziale Driftwinkel' von Entwicklungen (Maturana/Varela 1992). Die systemische Differenzierung in Helfersystem, Klientensystem und Helfer-Klient-System erlaubt dies zu beschreiben und kann aufzeigen, wie Soziale Arbeit - jenseits praxis- und theorieferner Beschreibungen von Allzuständigkeit, Aufgabendiffusität, Wirkungslosigkeit oder Unvorhersagbarkeit - als eine Abfolge von Ereignissen, Zufallskomponenten mit einem selektiven Prozess verbindet.


Weitere Literaturangaben

  • Eugster, R.: Die Genese des Klienten. Soziale Arbeit als System. Haupt, Bern/ Stuttgart/ Wien, 2000
  • Luhmann, N.: Die Politik der Gesellschaft. Frankfurt a. M., 2002
  • Maturana, H. R./Varela, F.J.: Der Baum der Erkenntnis - Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. Bern und München, 1984, 4. Auflage 1992
  • Welter-Enderlin, R., 1996: "Die Geister, die wir riefen..." - Von Schwierigkeiten und möglichen Lösungen, den Systemansatz auf die Praxis zu übertragen. In: Reiter, L./ E. J. Brunner/ Reiter-Theil, S. (Hrsg.): Von der Familientherapie zur systemischen Perspektive. Berlin, Heidelberg, New York, 1988