Inhalt systemischer Sozialer Arbeit

In der folgenden Passage wird eine Antwort auf die Frage gegeben, anhand welcher Inhalte sich systemische Sozialarbeitspraxis bestimmen lässt.

Gegenstand der Sozialen Arbeit

Soziale Arbeit entfaltet ihre Wirkung unter Einbezug des Alltags, der Lebenswelt und der gesellschaftlichen Teilhabe. Entsprechend beobachtet und berücksichtigt sie soziale Situationen unter Bezugnahme auf verschiedene Systeme, um den Handlungsraum der Klienten zu erweitern. Die Erweiterung ihrer sozialen Handlungsmöglichkeiten belässt ihnen ihre Autonomie und Würde und sichert die Entwicklung der Gesellschaft insgesamt durch die Förderung sozialer Gerechtigkeit.

Über den Gegenstand Sozialer Arbeit verdichtet sich die fachliche Diskussion und es zeichnen sich zunehmend akzeptierte Konturen ab. Die Dimensionen anhand derer Soziale Arbeit ihre Bezüge in der Praxis beobachtet und modelliert, lassen sich aus einer systemischen Perspektive systematisieren hinsichtlich:

Diese Ordnungsgesichtspunkte ermöglichen eine weitere Konkretisierung der Leistung Sozialer Arbeit. Soziale Arbeit bezieht sich auf:

  • verschiedene Adressaten und Adressatengruppen,
  • Relationen zwischen sozialen und gesellschaftlichen Systemen (z. B. auch zwischen den Generationen),
  • Bearbeitung von Differenzen (vgl. Rauschenbach 1994),
  • Inklusion/Exklusion (vgl. z. B. Bommes/Scherr 1996).

Im Kontakt mit KlientInnen sind für die Soziale Arbeit unterschiedliche Systeme von Bedeutung. Daher ist es notwendig, soziale Situationen in unterschiedlicher Weise zu beobachten und zu beachten. Die spezifische Leistung der Sozialen Arbeit besteht darin, soziale Konstellationen unter Bezugnahme auf verschiedene soziale Systeme zu interpretieren, unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten zu eröffnen und soziale Entwicklungen zu unterstützen.

Ein Beispiel:

Streitet eine KlientIn mit einer MitarbeiterIn des Sozialamts, dann kann dieser Streit unterschiedlich interpretiert werden. Möglich wäre z. B. die Ebene

  • der Persönlichkeit der Klientin,
  • der Interaktion von KlientIn und BeraterIn,
  • rechtlicher Vorschriften,
  • der beteiligten Organisationen,
  • gesellschaftlicher Teilsysteme (z. B. Wirtschaft, Recht),
  • kultureller Muster von Männern und Frauen.

An diesen Möglichkeiten knüpft Soziale Arbeit an. Sie ist multiperspektivisch ausgelegt.

Ort der Leistung: Zwischen den Systemen

Soziale Arbeit hat es mit mehreren Adressaten zu tun und richtet sich an verschiedenen Systemen mit unterschiedlichen Geschichten, Besonderheiten und Erwartungslagen aus. Eine Voraussetzung, dass dies in der Praxis gelingen kann, besteht in der genauen Reflexion und Überprüfung von Kooperationen und Parteinahmen. Manchmal ist die Ambivalenz, das Sitzen zwischen Stühlen oder das switchen der Bezüge in der Praxis für SozialarbeiterInnen schwer auszuhalten (Kleve 1999a). Um zwischen den Systemen bleiben und erfolgreich an diese anschließen zu können, ist eine Kenntnis deren interner Logik notwendig. Deswegen fördert Wissen aus Gebieten, wie z. B. Recht, Medizin, Wirtschaft und Psychologie die Kompetenz des Wahrnehmens, Erklärens, Verstehens, Bewertens und Handelns. Ebenso notwendig ist das Wissen um das Zusammenwirken unterschiedlicher Kräfte und Akteure in der Lebenswelt der Adressaten.

Soziale Arbeit steht in ihren Praxisvollzügen vor der Notwendigkeit, entscheiden zu müssen, auf welche Systeme sie sich in ihrer Arbeit bezieht. Bei der Bestimmung, welche Verknüpfungsleistung zwischen welchen Systemen sie erbringt, ist ein hohes Maß an kommunikativem Managementgeschick erforderlich.

Um

  • sich für die KlientInnen engagieren zu können,
  • die eigenen Ressourcen nicht zu verbrauchen,
  • und nachhaltige Lösungen mitgestalten zu können,

sind verschiedene Zusammenhänge zu analysieren und zu beeinflussen.

Ob auf der Ebene von Interaktion mit KlientInnen oder auf der Ebene von Organisationssystemen - Soziale Arbeit findet ihren Ort zwischen den Systemen.

Art der Leistung: Anschlüsse an Systeme fördern

Das System Soziale Arbeit hat Adressaten, Klienten und andere soziale Systeme in seiner Umwelt im Blick und leistet Vermittlungsdienste zwischen Systemen, z. B. zwischen Klientensystemen und den Organisationen verschiedener Funktionssysteme (z. B. der Wirtschaft, dem Bildungssystem). Sie tut dies, indem sie mit und für ihre KlientInnen Anschlüsse an Organisationssysteme wie Firmen oder Schulen und soziale Systeme wie Familien und Nachbarschaften fördert. Je nachdem, wie gut Klienten der Anschluss an Interaktionen, Organisationen bzw. an gesellschaftliche Teilsysteme gelingt, werden ihre Chancen der Teilhabe an gesellschaftlichen Gütern verbessert. Mit dem Begriffspaar Inklusion/Exklusion lassen sich diese Teilhabebedingungen von Personen beobachten und beschreiben. Indem Soziale Arbeit Anschlüsse an Systeme für die Gesellschaft reflektiert und fördert, leistet Soziale Arbeit einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit.

Im Kontext zunehmend risikobelasteter gesellschaftlicher Verhältnisse sind die Bedingungen, unter denen Menschen von Systemen für relevant erachtet werden, oft unübersichtlicher und belastender geworden. Soziale Arbeit, die Anschlüsse an Systeme unterstützt, reflektiert diese Risiken. Systemische Praxis produziert Inklusions/Exklusionschancen, aber auch -risiken, die es erfordern, bedacht und reflektiert zu werden.

Theorie

Um etwas zur inhaltlichen Ausgestaltung systemischer Sozialarbeit sagen zu können, sind theoretische Vorstellungen erforderlich. Hinsichtlich systemtheoretischer Konzepte gibt es einen langen Diskurs, der sich mit den Anschlussstellen und der Nutzbarmachung von Theorie für die Praxis beschäftigt. Ohne an dieser Stelle auf diese Debatten konkreter eingehen zu können, sollen nun einige Werke und AutorInnen benannt werden. Die Literaturauswahl (siehe auch Literaturliste), die als Hinweis zum Weiterlesen zu verstehen ist, stammt aus unterschiedlichen systemtheoretischen Denkrichtungen und nimmt zum Teil unterschiedliche Traditionen auf.