2. Was ist Ethik und wozu brauchen wir sie?

2.3. Zusammenfassung

Ethische Reflexion und Wertorientierung hat in den Gesundheitsberufen eine lange Tradition, die dem Aufgabengebiet inhärent ist und zur Ausbildung eines eigenen Berufsethos zum Beispiel der Ärzte und Ärztinnenaber auch der Pflege- und weiteren Heilberufe führt. Die zunehmende Beschäftigung mit ethischen Themen, der steigende Ethikbedarf insbesondere seit dem 20.Jahrhundert ist mehreren Entwicklungen geschuldet: 

(1) Die plurale Gesellschaft postmoderner Prägung bietet ihren Bürgern einen Lebensraum mit bisher ungekannten Freiheits- und Bürgerrechten und bürdet ihnen auf, selbst und eigenverantwortlich über ihre Werthaltungen und Weltanschauungen zu entscheiden. Verbindliche ethische Normierungen und selbstverständliche konsensuale Werthaltungen lassen sich nicht mehr einfach voraussetzen, sondern müssen immer wieder neu erstritten oder austariert werden. Dies wird umso notwendiger, als…

(2) neue technische Interventionsmöglichkeiten mit bisher ungekannter Interventionstiefe in den menschlichen Körper und das menschliche Leben entwickelt wurden, für deren Anwendung (oder Unterlassung) es schlicht noch keine Beispiele oder Analogien in herkömmlichen berufethischen Grundsätzen, Orientierungen oder Entscheidungsverfahren gibt. Viele ethische Konflikte werden …

(3) durch die zunehmende Ökonomisierung und den im Gesundheitsbereich manifesten Mangel an Ressourcen vor allem personeller, aber auch finanzieller Art ausgelöst oder verschärft. Die Frage des gerechten Zugangs zu knappen aber grundsätzlich verfügbaren Gesundheits- und Pflegeleistungen ist mit Wertentscheidungen und Aussagen über Lebenssinn bzw. Lebensqualität verbunden und damit im Kern ethisch relevant. 


Graphische Darstellung des steigenden Ethikbedarfs

Berufsethische Selbstverpflichtungen geben neben einer Grundlage zur Auseinandersetzung mit aktuellen ethischen Themen oder Problemen nicht nur den Mitgliedern einer Berufsgruppe selbst Handlungssicherheit oder einen Rahmen für legitimierbares Handeln. Sie signalisieren darüber hinaus den Kunden und Kundinnen und Kollegen und Kolleginnen Verlässlichkeit, Eindeutigkeit und Planbarkeit und erleichtern somit die inter- und intraprofessionelle Kooperation, sowie den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zum Kunden oder zur Kundin beziehungsweise zum Patienten oder zur Patientin.