Zunächst soll das Verständnis von 'System' offen gelegt und die - diesen Text leitende - Definition benannt werden: "Als Ausgangspunkt jeder systemtheoretischen Analyse hat, darüber besteht heute wohl fachlicher Konsens, die Differenz von System und Umwelt zu dienen" (vgl. Luhmann 1984: 35). In Anlehnung an diese Vorstellung, wird hier vorgeschlagen, von einer Systemdefinition auszugehen, welche unter einem System ein Netz zusammengehöriger Operationen versteht, das sich von nicht dazugehörigen Operationen abgrenzen lässt (vgl. Willke 1991: 37 f.). Deutlich ist, dass hier ein relationaler Begriff zur Anwendung kommt, der sich grundlegend auf die Differenz zwischen System und Umwelt bezieht.

Ein wesentlicher Vorzug dieser Definition ist, dass sie auf Operationen aufbaut und nicht auf Elemente oder Objekte, die untereinander in geordneten Beziehungen stehen, angewiesen ist. Es geht in den folgenden Passagen demzufolge nicht um die Vorstellung, dass sich ein System aus seinen Einzelteilen zusammensetzt. Eine Familie z.B. wird hier nicht über ihre Familienmitglieder definiert, sondern über die zum Familiensystem gehörenden Operationen, d.h. die zum Familiensystem gehörenden Kommunikationen. In den folgenden Überlegungen wird dieser definitorische Zugang zugrunde gelegt. In dem Text werden zunächst zwei Arten von Systembeziehungen unterschieden und aus systemtheoretischer Perspektive beleuchtet:

  • Beziehung zwischen System und Umwelt
  • Beziehung zwischen Systemen/ strukturelle Kopplung

Danach wird dargelegt, welche Bedeutungen sich aus den Überlegungen für die Soziale Arbeit ableiten lassen.

Beziehungen zwischen System und Umwelt

Die hier verfolgte systemtheoretische Leitdifferenz System/Umwelt stellt eine Denkrichtung dar, mit der sich Grenzen zwischen System und Umwelt über deren jeweilige interne Eigenlogik thematisieren lassen. Damit entsteht z.B. die Möglichkeit, zu fragen, wo ‚eine Familie anfängt'. Mit welcher Kommunikation beginnt sie, wie etabliert sie ihre Grenzen?

Bedeutend für die Unterscheidung zwischen System und Umwelt sind Grenzen, die gezogen werden. Die Grenzziehung gegenüber der Umwelt erfolgt - dieser systemtheoretischen Perspektive folgend - über systeminterne Operationen (Selbstreferentialität). Das System kann nicht in der Umwelt operieren. Dadurch ergibt sich die operative Geschlossenheit von Systemen. Der Vorzug dieser Theorie liegt darin, dass Systeme nicht als ‚an-und-für-sich' existierend angenommen werden, sondern durch die Berücksichtigung von Grenzen, die der Beobachtung zugänglich sind. Durch dieses Konzept der Grenzen wird jeweils grundsätzlich die Umwelt eines Systems mitberücksichtigt

.

Erst durch die Einbeziehung der Umwelt, sowie des Verhältnisses zwischen System und Umwelt lässt sich eine Systembeschreibung erstellen. Die ‚systemtheoretische Medaille' hat somit nicht zwei Seiten, sondern noch eine Dritte und zwar die Differenz, d.h. die Grenze zwischen den Seiten. Aufgrund der Selbstrefentialität von Systemen wird hier nicht von ‚der' Umwelt ausgegangen, sondern davon, dass jedes System seine ‚eigene' Umwelt hat. Werden aus einem System heraus in seiner Umwelt Operationen beobachtet, so weisen diese auf Systeme der Umwelt hin. Infolgedessen besteht die Möglichkeit, zwischen der Umwelt eines Systems und Systemen in der Umwelt des Systems zu unterscheiden (vgl. Luhmann 1984: 37).

Die Frage, zu welchem System eine Operation gehört, wird demnach durch Beobachtung mit entschieden. Was System ist und was Umwelt ist eine Frage der Systemreferenz und der Beobachtung. D.h., ein Verhalten kann z.B. einem Interaktionssystem und/oder einem Organisationssystem zugeschrieben werden. Strukturen relativieren die Abhängigkeit des Systems von der Umwelt. Dies gelingt, indem Strukturen nur bestimmte Selektionsmuster von Verknüpfungen zulassen. Die Fragestellung, welche Funktionen Strukturen zur Erhaltung eines Systems übernehmen, lassen sich erweitern zu: Wie unterstützen Strukturen die Leistungsfähigkeit des Systems? Eine der zentralen Fragestellungen für die Soziale Arbeit bezieht sich darauf, wie durch welche Strukturen Systeme stabilisiert werden und, wie "die Fähigkeit zur Strukturänderung gerade die Anpassungs- und Entwicklungsleistung eines sozialen Systems bestimmt"? (vgl. Willke 1991: 4).

Diese Verbindungen bzw. Relationen zwischen Systemen werden mit der Theoriefigur ‚strukturelle Kopplung' beschrieben. Mit struktureller Kopplung wird betont, dass ein System in seinem Strukturaufbau mit der Umwelt korrespondiert. Es geht um das Verhältnis eines Systems zu den Umweltvoraussetzungen, die gegeben sein müssen, um die eigene Autonomie fortsetzen zu können. Es geht bei diesem Theoriezusammenhang also zentral um die Frage, wie ein System mit seiner Umwelt interagiert. Für jedesSystem sind bestimmte Umweltvoraussetzungen notwendig. So benötigt z.B. das biologische System verschiedene Umweltbedingungen (gewisse Temperatur, genügend Sauerstoff), während für das System Soziale Arbeit u.a. das Politik- und das Rechtssystem relevant ist. Ein Vorzug dieser theoretischen Überlegungen liegt darin begründet, dass sich durch die Beobachtung von strukturellen Kopplungen Strukturentwicklung und Strukturveränderung erklären und beschreiben lassen.

Es ist daher notwendig und theoretisch sinnvoll, die Theoriefigur ‚Autopoiese' bzw. ‚Selbstreferentialität' mit der Theoriefigur ‚strukturelle Kopplung' zu verbinden. Denn: Erst durch längerfristige Kopplungen kann es zur Beeinflussung der Strukturbildungs-/veränderungstendenz kommen. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Sprache und Sinn, über die sich Kopplungen beschreiben lassen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es notwendig ist, strukturelle Kopplungen zu beachten, wenn die jeweilige Systementwicklung bzw. den jeweiligen Systemzustand nachvollziehbar sein soll. Systeme entwickeln sich zwar selbstreferentiell, d.h. unter Bezugnahme auf eigene systeminterne Zustände, zugleich interagieren sie mit ihrer jeweiligen Umwelt.

Sie können sich dazu ein Interview mit Niklas Luhmann über YouTube ansehen:

(Quelle: http://www.youtube.com/watch?v=E7NBA5Bd7Mo)

Bedeutung für die Soziale Arbeit

Einige ausgewählte Aspekte sollen den Nutzen und die Bedeutung der systemtheoretischen Überlegungen für die Soziale Arbeit exemplarisch verdeutlichen:

  • Soziale Arbeit bezieht sich in der Praxis zumeist auf mehrere Systeme und mehrere Umwelten: KlientInnen, Ämter, Organisationen, andere Helfersysteme, etc. Um als Hilfesystem an diese Umwelten Anschlüsse zu organisieren und Vermittlungen zwischen den Systemen zu leisten (vgl. Kleve 1999) ist Kenntnis der jeweiligen Strukturen und internen Systemlogiken förderlich.
    Durch die Beschreibung struktureller Kopplungen von unterschiedlichen Systemen wird durch die Theorie die ‚Überbrückung' der Differenz zwischen System und Umwelt eingefangen, ohne jedoch die Grenzen der Systeme ‚aufzulösen'. Aus dieser Perspektive lässt sich die Praxis der Sozialen Arbeit theoretisch als Kopplungsarbeit beschreiben.
  • Soziale Probleme, mit denen Soziale Arbeit zu tun hat, lassen sich durch von einem Beobachter als problematisch gekennzeichnete System-Umwelt-Beziehungen beschreiben. Soziale Arbeit hilft hier Passungen (wieder-) herzustellen.  

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Verwendete Literatur:

Kleve, H.: Soziale Arbeit und Ambivalenz. In: Neue Praxis, H. 4, 1999, S. 368-382

Luhmann, N.: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M., 1984

Luhmann, N.: Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2. Band, Frankfurt/M., 1997

Willke, H.: Systemtheorie, UTB. Stuttgart und New York 1991, 3. Auflage

Zum Weiterlesen:

Fuchs, P.: Von Jaunern und Vaganten- Das Inklusions/ Exklusions- Schema der A-Sozialität unter frühzeitlichen Bedingungen und im Dritten Reich. In: Soziale Systeme, Heft 2/ 2001, S. 350-369