Inklusion / Exklusion
Inklusion und Lebenslauf - eine Praxisanregung
Anhand des folgenden Lebensverlaufs sollen Ereignisse mit Inklusions- bzw. Exklusionspotential dargestellt werden. Dabei ist grundsätzlich zu fragen, ob Frauen und Männer in unterschiedlicher Weise exklusionsgefährdet sind. Zu den jeweiligen Ereignissen werden Ihnen neben den thematischen Fragen auch solche zur Perspektive der Sozialen Arbeit und Ihrer persönlichen Erfahrungen geboten.
Eine Zusammenstellung von Zitaten von A. Scherr fasst die systemische Perspektive zusammen:
aus: Scherr, A. (2004): Exklusionsindividualität, Lebensführung und Soziale Arbeit. In: Merten, R./Scherr, A. (Hrsg.): Inklusion und Exklusion in der Sozialen Arbeit. Wiesbaden, VS Verlag, S. 55-74.
Lebensstrahl
Geburt
Die Geburt des Menschen kann als Beobachtungszeitpunkt für den Beginn sozialer Integration gewählt werden. Dieser nimmt seinen Anfang in der Familie. Das Baby wird in eine Familie und damit bereits in eine bestimmte Gesellschaftsschicht und ein Milieu hineingeboren. Folglich findet ein Prozess sozialer Inklusion und Exklusion statt. Kinder, welche einer Familie in einem sozialen Brennpunkt angehören, erfahren von der Geburt an die Phänomene der Ausgrenzung (vgl. HOHM 2003: 16). Für Kinder sehr wohlhabender Familien gilt das Gleiche.
Eintritt in den Kindergarten/in die Schule
Der Eintritt in den Kindergarten und der Übergang in die Schule stellen Meilensteine im Lebensprozess eines Kindes dar. Hierbei ist es besonders wichtig, dass Kinder durch Eltern unterstützt werden. Die Kinder müssen sozial aufgeschlossen und offen sein, um Kontakte knüpfen zu können und sich zu integrieren.
Bei Kindern, die bereits zu Beginn ihres Lebens in schwierigen Situationen aufwachsen, können aus Selbst- und Fremdwahrnehmung soziale Differenzen zu sozialen Distanzen werden. Diese können sich verfestigen.
Schulwechsel
Der Schulwechsel stellt im Idealfall einen normalen Prozess im Leben eines Schülers dar. Der Schulwechsel gelingt eher, wenn die familiären Beziehungen diesen Wechsel mit vollziehen. Aus verschiedensten Gründen gelingt dies in einigen Familien nicht ohne Schwierigkeiten. Bei einem Übertritt eines Schülers aufgrund außerordentlicher Vorkommnisse sind Lehrer in besonderem Maß dafür verantwortlich, die Aufnahme des Kindes durch gezielte Integrationsmaßnahmen zu unterstützen (intensiveres Kennenlernen und Zusammenführen mit Klassenkameraden, verstärkte Gruppenarbeit, Integration in außerschulische Aktivitäten,…).
Einen solchen Sonderfall stellt beispielsweise der Umzug der Familie dar, so dass ein Schulwechsel notwendig wird.
Schulabschluss und Beginn einer Arbeitstätigkeit, der Ausbildung, des Studiums, etc.
Der Abschluss der Schulausbildung stellt einen weiteren Meilenstein im Leben eines Menschen dar, denn der Verlauf des weiteren Lebens wird maßgeblich zu dieser Zeit bestimmt. Die Entscheidung für eine Berufstätigkeit, eine Ausbildung oder ein Studium weist die Richtung des Berufslebens und ermöglicht erstmals finanzielle Unabhängigkeit von den Eltern.
Sobald ein Jugendlicher eine Arbeitsstelle, einen Ausbildungs- oder Studienplatz gefunden hat, stellen sich Inklusions- und Exklusionsprobleme wie bei der Einschulung bzw. dem Schulwechsel. Die Zuschreibung für die Verantwortlichkeit ist neu. Finden junge Erwachsene keinen Ausbildungsplatz, stellen sich wieder andere Fragen der Inklusion und Exklusion. Diese unterscheiden sich erheblich zwischen Frauen und Männern. Weiterbildungsprojekte der Agentur für Arbeit, die den Jugendlichen die Möglichkeit zu verschiedenen Kursen, wie Computerkurse oder Bewerbungstraining geben, stellen eine Inklusionsbemühung des Sozialstaates dar.
Eintritt ins Berufsleben und Einkommen
Wenn man davon ausgeht, dass der Eintritt ins Berufsleben gelingt und ein passender Arbeitsplatz gefunden wird, könnten passende Voraussetzungen für Inklusion umgesetzt werden. Weitere Inklusionen können die Folge sein. Für die meisten Menschen stellt in dieser Hinsicht ein angemessenes Grundeinkommen die Voraussetzung dar. Dennoch gibt es in der heutigen Zeit vermehrt Berufsgruppen, in denen das Einkommen aus einem Vollzeitjob nicht mehr ausreicht, um sich und eine Familie zu ernähren. Doch auch der Arbeitsplatz stellt eine Exklusionsgefahr dar, da nicht jeder neue Kollege problemlos integriert und aufgenommen wird. Aufgrund von Gruppenverhalten oder persönlicher Aspekte des neuen Mitarbeiters kann es zu Schwierigkeiten kommen.
Der Eintritt ins Berufsleben führt für die Geschlechter zu unterschiedlichen Erfahrungen und Entwicklungspfaden.
Hochzeit und Umzug
Die Hochzeit an sich bietet für beide Partner Inklusions- und Exklusionsprozesse aus Ihrer jeweiligen Herkunftsfamilie. Wird der jeweilige Partner gut in die Familie aufgenommen und akzeptiert, so kann eine erfolgreiche Inklusion und damit Integration in die Familie verbunden werden.
Dennoch gibt es immer wieder den Fall, dass dies eben nicht so verläuft. In manchen Familien wird der Schwiegersohn bzw. die Schwiegertochter nicht akzeptiert und folglich exkludiert. Dies kann aber sogar zu einem Verstoß des eigenen Kindes führen, da es teilweise vor die Wahl gestellt wird: Familie oder Partner.
Doch auch der mit der Hochzeit zum Teil verbundene Umzug weist großes Inklusions- und Exklusionspotential auf. Ein Partner oder sogar beide kommen in ein völlig neues Umfeld ohne soziale Kontakte. Der Arbeitsplatz, Nachbarn oder flüchtige Bekannte können dann dabei helfen, inkludiert zu werden. Dies hängt meist aber maßgeblich von den Personen ab und eine aktive Integration ist unbedingt notwendig. Es wird also deutlich, dass auch beim Umzug Inklusion oder Exklusion thematisiert werden muss.
Geburt eigener Kinder
Die Geburt eigener Kinder stellt ein wichtiges Ereignis für ein Paar dar.
Durch das Kind ist es, zumindest in der ersten Zeit, nicht mehr für beide Partner möglich, arbeiten zu gehen. Aus diesem Grund muss ein Elternteil zu Hause bleiben und sich um Kind und Haushalt kümmern. Dieser Aspekt stellt teilweise bereits ein Problem dar, da kaum noch Kontakt zu Kollegen besteht, Treffen mit Freunden ebenfalls seltener werden und die (gewohnte) berufliche Herausforderung fehlt. Mütter oder Väter fühlen sich ausgeschlossen und ziehen sich möglicherweise zurück, so dass Kontakte zum sozialen Umfeld seltener werden. Nicht selten kommt es in dieser Lebensphase zu partnerschaftlichen Problemen.
Berufliche Karriere, Beförderung
Berufliche Karriere und Beförderung beinhalten, dass noch mehr Zeit am Arbeitsplatz verbracht werden muss. Diese Zeit fehlt dann allerdings häufig im Privatleben, was dazu führt, dass Herkunftsfamilie, Freunde und das soziale Umfeld im Allgemeinen vernachlässigt werden. Diese Situation kann sich riskant verschärfen, wenn sie längerfristig abläuft. Somit kann es dazu kommen, dass sich Freunde abwenden, die Beziehung zu Bruch geht und die Familie unzufrieden wird.
Der Inklusionsgewinn einer Karriere wird für Männer und Frauen unterschiedlich zu realisieren sein. Der Inklusionsgewinn von Frauenkarrieren irritiert die Vorstellungen von manchen Männern und Familien. Für viele Paare mit der Möglichkeit einer jeweils eigenständigen Karriere liegen keine sozialen Erfahrungen mit den wahrscheinlichen Inklusions- und Exklusionsrisiken vor.
Berufliche Karriere, Beförderung
Berufliche Karriere und Beförderung beinhalten, dass noch mehr Zeit am Arbeitsplatz verbracht werden muss. Diese Zeit fehlt dann allerdings häufig im Privatleben, was dazu führt, dass Herkunftsfamilie, Freunde und das soziale Umfeld im Allgemeinen vernachlässigt werden. Diese Situation kann sich riskant verschärfen, wenn sie längerfristig abläuft. Somit kann es dazu kommen, dass sich Freunde abwenden, die Beziehung zu Bruch geht und die Familie unzufrieden wird.
Der Inklusionsgewinn einer Karriere wird für Männer und Frauen unterschiedlich zu realisieren sein. Der Inklusionsgewinn von Frauenkarrieren irritiert die Vorstellungen von manchen Männern und Familien. Für viele Paare mit der Möglichkeit einer jeweils eigenständigen Karriere liegen keine sozialen Erfahrungen mit den wahrscheinlichen Inklusions- und Exklusionsrisiken vor.
Scheidung
Ein Meilenstein im Leben eines Menschen, der in den letzten Jahrzehnten immer häufiger wird, ist die Scheidung. Beide Partner gehen ihre eigenen Wege, lernen möglicherweise einen neuen Lebenspartner kennen oder haben dies bereits getan. Es findet also eine Reihe von Inklusions- und Exklusionsprozesse in ein neues soziales Umfeld statt.
Besonders kritisch ist der Prozess einer Scheidung für Kinder: neue soziale Zugehörigkeiten müssen erlebt, erprobt und gefestigt werden.
Schicksalsschläge und familiäre Probleme
Schicksalsschläge in der Familie oder dem Freundeskreis können schnell zu sozialen Spannungen mit Exklusionsrisiken führen. Menschen haben zwar unterschiedliche Bewältigungstechniken, um mit solchen Problemen umzugehen, trotzdem kann professionelle Hilfe hilfreich oder nötig sein.
Eine Person, die sich aufgrund von familiären Problemen oder Schicksalsschlägen eher abkapselt und nicht über die Probleme sprechen möchte, kann schnell in eine Art der unbeabsichtigten Exklusion geraten, da Freunde und Familienmitglieder aufgrund des Rückzugs das Gefühl bekommen, ausgestoßen zu werden und die Person daher meiden. Möglicherweise ist neben dem Exklusionsrisiko parallel ein Inklusionsprozess/-risiko zu bewältigen.
Gesundheitliche, berufliche und soziale Stressfaktoren können sich wechselseitig verstärken und überlagern. In ihrer Folge sind Prozesse sogenannter Exklusionsdrifts zu beobachten.
Krankheit
Besonders hohe Exklusionsgefahr besteht immer dann, wenn soziale Kontakte nicht mehr so intensiv gepflegt werden können. Krankheit ist ein anerkannter Kündigungsgrund. Gerade bei älteren Menschen (natürlich auch bei jungen Betroffenen), stellt eine andauernde Krankheit ein starkes Risiko dar. Das Verlassen der Wohnung, das Zurücklegen weiterer Strecken oder starke physische bzw. psychische Angeschlagenheit fallen dann zunehmend schwerer. Die Folge ist, dass gemeinsame Treffen mit Bekannten und Freunden immer seltener werden.
Alter
Alter steht in direkter Verbindung mit Gebrechlichkeit und Einschränkungen aufgrund von Krankheiten oder Beweglichkeit. Aus diesem Grund kann es hierbei, wie bereits beim Stadium von Krankheiten beschrieben, häufig dazu kommen, dass Treffen mit Freunden nur noch in der eigenen Wohnung möglich sind oder dass Hilfe beim Putzen, Einkaufen und dem Alltag nötig werden.
Wann und ob dieses Stadium eintritt, ist individuell unterschiedlich. Dennoch kann es dazu führen, dass die Senioren Angst haben, anderen zur Last zu fallen oder aber körperlich nicht mehr in der Lage sind, regelmäßige Unternehmungen mit Freunden einzugehen. Aus diesem Grund kann es zu Exklusion in verschiedenen sozialen Systemen kommen. Besonders gravierend stellt sich dieser Zustand häufig bei alleine lebenden Senioren ohne Ehepartner oder Lebenspartner dar.
Tod des Partners
Ein besonders kritischer Lebensabschnitt steht für Menschen an, deren Lebenspartner stirbt. Dieser Schicksalsschlag kann dazu führen, dass sich die Person vollständig vom sozialen Umfeld abkapselt, um in Ruhe zu trauern. Dieser Prozess kann allerdings unterschiedlich lange andauern. Die gewollte Exklusion am Anfang, in der Freunde und Familie meist versuchen, den Kontakt herzustellen und Hilfe anbieten, wird allerdings irgendwann von einer (nicht mehr gewollten) Exklusion gefolgt, die vom sozialen Umfeld akzeptiert und indirekt gefördert wird. Freunde und Familie werden die Kontaktversuche irgendwann aufgeben, wenn die Phase der Trauer zu lange bzw. zu intensiv verläuft. Die trauernde Person schafft es dann irgendwann auch nicht mehr, den Kontakt wieder selbst herzustellen, was zu einer andauernden und nur noch schwer zu durchbrechenden Exklusion führt.