Einführung Fallarbeit

Systemische Ethik

Die Frage nach dem, was als typisch für eine systemisch orientierte Soziale Arbeit gelten kann, berührt auch ethische Aspekte. Folgende Gesichtspunkte beleuchten ethische Überlegungen aus einer systemischen Perspektive:

Menschenbild

Eine systemtheoretische Perspektive öffnet einen differenzierten und neuen Zugang zu Vorstellungen vom Menschen. Der "ganze Mensch" besteht aus einem Zusammenspiel mehrerer eigenständiger Systeme (organisches, psychisches, soziales System). Diese operieren verschiedenartig und eigenständig. Indem die einzelnen Bereiche zunächst als konsequent getrennt voneinander behandelt werden, wird eine andere Auffassung der Integration und Zusammenschau ermöglicht: Der einzelne Mensch kommt erst vor diesem Hintergrund zu seinem Recht, als einmalige spezifische Konfiguration verstanden zu werden. Gesellschaftliche Zusammenhänge wie Sprache, kulturelle Erscheinungen und gesellschaftliche Machtverhältnisse werden so nicht dem Einzelnen oder der Gesellschaft alleine aufgebürdet. Damit ist die ethische Frage berührt, wer für soziale Probleme verantwortlich gemacht wird.

Die Betonung des Ausmaßes an Autonomie durch das Theorieelement "Selbstreferentialität von Systemen" verweist SozialarbeiterInnen auf den Respekt vor KlientInnen und deren Eigen-Sinnigkeiten (Sinn). SozialarbeiterInnen können angesichts der Herausforderung von Klienten, ihr Leben zu bewältigen, so handeln, dass die Anzahl ihrer Möglichkeiten vermehrt werden (vgl. Foerster 1993a: 78).

Soziale Gerechtigkeit

Soziale Arbeit fördert soziale Gerechtigkeit, indem sie es Menschen ermöglicht, an unserer Gesellschaft und ihren Ressourcen teilzuhaben und sie in demokratischen Verfahren mitzugestalten. Diese Leistungsbestimmung lässt sich mit systemtheoretischen Vorstellungen verbinden. Luhmann (1984): "Alle Moral bezieht sich letztlich auf die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Menschen einander achten bzw. missachten" (ebd.: 318). In der sozialen Praxis lassen sich diese Bedingungen beobachten und reflektieren. Dieser von SozialarbeiterInnen vorgenommene Akt lässt sich als angewandte Ethik verstehen.

Für die Soziale Arbeit, die sich auf die Bedingungen und die Gestaltung von Inklusions- und Exklusionsbedingungen bezieht, sind ethische Fragen mit Aspekten der sozialen Gerechtigkeit verknüpft. Entsprechend mischt sie sich in normative Diskurse der Gesellschaft ein.

Nachhaltigkeit

Eine systemische Vorstellung von Ethik richtet sich an den konkreten und längerfristigen Auswirkungen des Handelns aus. Unter Berücksichtigung der Komplexität und Vernetztheit sozialer Verhältnisse reflektiert systemische Praxis die Möglichkeiten, nachhaltige soziale Entwicklungen zu fördern. Folgende Aspekte und Fragestellungen dienen der Arbeit dabei als Bezugspunkte:

  • welche bisherigen Lösungsversuche können als gescheitert gelten?
  • welche unbeabsichtigten Nebenfolgen von Hilfe können in den Blick genommen werden?
  • auf welcher Systemebene lässt sich ein als Problem definierter sozialer Zusammenhang nachhaltiger lösen

Aufgrund der Einheit von Beobachter und Beobachtungsgegenstand kann als eine ethische Richtschnur für SozialarbeiterInnen die Reflexion der eigenen Annahmen genannt werden. In der systemischen Praxis geht es um das permanente Bedenken, dass es sich bei Beobachtungen um Entscheidungen und Akte des Auswählens handelt. Eine so verstandene Ethik kann als implizite Verantwortungsethik begriffen werden.